10/11/2025 0 Comments
Zuhören und unterschiedliche Meinungen aushalten
Zuhören und unterschiedliche Meinungen aushalten
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Zuhören und unterschiedliche Meinungen aushalten
Was bedeutet für Sie Frieden?
Das ist auch für mich eine schwierige Frage. Frieden ist zunächst ein heilsamer Zustand, in dem keine Gewalt vorherrscht.
Das ist das Schöne an dem Wort Frieden: es kann verschieden gedeutet und gefüllt werden, also mehrdimensional. Aber zugleich besteht die Schwierigkeit, dass wir erst einmal erklären müssen, was gemeint ist. Das reicht vom inneren Frieden, über eine wirkliche Abwesenheit von Krieg bis hin zu diesen biblischen Bildern, die wir von einem großen Shalom Gottes haben.
Es geht also nicht nur um einen grundsätzlichen Weltfrieden - das wäre natürlich ein wunderbares Zielbild. Ich meine es noch viel kleiner: Es berührt zum Beispiel schon unsere Sprache. In wieweit drückt sich darin Gewalt und Ausgrenzung aus? Auch die Gerechtigkeitsthematik spielt mit hinein. Und es geht auch um mich selbst: Ich kann zu mir unglaublich gewaltsam sein oder friedlich.
(...)
So oder so spielt Biographie-Arbeit dabei eine große Rolle. Es ist eine harte Auseinandersetzung mit sich selbst, wenn man es ernsthaft macht. Für mich als Norddeutscher ist der Zustand der (inneren) Ruhe verbunden mit dem Bild des wehenden Windes um Kopf und Nase. Dass der Wind sich dauerhaft legt, ist ein Idealbild, das wohl weit weg von der Realität ist.
Wo beginnt also für Sie Frieden, und wo hört er auf?
Da denke ich etwa an das Bild in Psalm 85: Wo Frieden und Gerechtigkeit sich küssen. Das ist in der ethischen Debatte nicht uninteressant. Nur zu sagen: „Frieden ist, wenn die Waffen schweigen“ ist doch eine recht einseitige Wahrnehmung. Frieden muss in irgendeiner Form gerecht oder etwas moderner gesprochen: „nachhaltig“ empfunden werden.
Jugendliche stellen mir häufig die Frage: „Was kann ich eigentlich zum Frieden beitragen?“ Ich glaube, es fängt damit an, wie wir miteinander umgehen. Wenn ich frage: „Wie gehe ich mit mir selber um?“ „Wie gehe ich mit anderen Menschen um?“ „Ist das eigentlich ein friedlicher Umgang?“, dann beginnt es, nachhaltig zu werden. Die biblischen Schriften des Alten und Neuen Testaments raten uns dringend, friedlich miteinander umzugehen. Und wenn wir nicht genau wissen, was das konkret heißen kann, dann gehen wir in den Diskurs.
Das Ziel wäre dann mit Jesaja 11,6 gesprochen ein Ort, wo Löwen bei Lämmern liegen, also diese Idee einer allumfassenden Harmonie. Das ist ein starker Gedanke, den wir als Kirche immer wieder betonen sollten. Er macht es vielleicht im Hier und Jetzt ein bisschen erträglicher.
Führen Sie den derzeitigen Umgang mit Konflikten auf eine grundsätzlich gestörte Debattenkultur zurück?
Eindeutig, ja. Meine Erfahrung ist: Es geht um’s Zuhören, ein ernsthaftes, am Gegenüber interessiertes Zuhören. Wie kommt jemand zu dieser Meinung? Was hat ihn oder sie geprägt? Ich möchte erst einmal davon ausgehen, dass die Person eine Position vertritt, die anzuhören und auch hinterfragt zu werden wert ist; so vorurteilsfrei, wie es eben geht. Mir ist völlig klar, dass dieses Zuhören auch Grenzen hat, insbesondere die unserer Verfassung.
Und es funktioniert nur in geschützten Räumen. Menschen müssen das Gefühl haben, sie können jetzt etwas sagen, was nicht nach außen dringt. Diese Räume können wir als Kirche zur Verfügung stellen, und wir können dort ein wertschätzendes Miteinander-Streiten ermöglichen.
Sie begeben sich als Friedensbeauftragter ständig in Situationen und Gespräche, die nicht immer leicht sind – wie behalten Sie Ihren inneren Frieden?
Ich glaube, auch bei mir gibt es einen Punkt, an dem bei mir biografisch bedingt oder aus anderen Gründen Grenzen überschritten werden. Es entlastet, zu wissen: da gibt es Kolleginnen und Kollegen, die das auch können und weitermachen.
Ich bekomme durchaus auch scharfe und polemische E-Mails und Briefe. Wenn man sich aber die Mühe macht, ernsthaft und ruhig zu antworten, fahren viele rhetorisch schnell wieder zurück. Ich habe in den letzten Jahren ja im Grunde schon alle Positionen und Meinungen gehört. Die meisten sind irgendwo nachvollziehbar oder biografisch erklärbar.
Zuhören und Aushalten, darum geht es und nicht um direkte Lösungsangebote. Schauen wir nur auf Karfreitag – das ist ein einziges Zuhören und Aushalten. Das sollten wir in jeden Diskurs übertragen.
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Das vollständige Interview lesen Sie in unserem gerade erschienenen Themenheft Fensterkreuz.
Die Ergebnisse unserer Online-Umfrage zum Thema Frieden finden Sie auch hier.

Foto: Düring /KKZF
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