Gedanken zum Wochenende

undefined

Schritt für Schritt

In chaotischen Zeiten sollten Menschen zusammenhalten – Gemeinschaft lässt sich jedoch nicht erzwingen, aber man kann den Boden dafür bereiten.

Von Pfarrerin Elisabeth Koppehl, Ev. Kirchengemeinde Luckenwalde

Im Chinesischen gibt es einen Fluch: „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ Ich spüre zurzeit die dunkle Energie dieses Fluches sehr deutlich. Denn was auch immer man über die derzeitige Situation sagen kann, man kann nicht sagen, dass sie nicht interessant ist. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich gerade alles ändert. Alles wird wieder infrage gestellt, alles ist im Fluss. Dinge, die lange geklärt waren, stehen auf einmal wieder zur Debatte und all dieses Chaos will und will sich nicht ändern.

Gerade in solchen Zeiten sollten wir enger zusammenrücken und zusammenhalten. Gerade hier kann doch die Gemeinschaft einen sicheren Raum bieten. Warum ist das nur so schwer? Nun, Gemeinschaft lässt sich nicht erzwingen. Genauso wie sich die Liebe nicht erzwingen lässt. Aber was man machen kann, ist, den Boden zu bereiten und die Tür aufzumachen.

Der erste Schritt ist Dankbarkeit. Es ist nicht selbstverständlich, dass andere da sind, dass wir Nachbarn haben. Und es ist gut, dass sie da sind. Denn es bedeutet, wir sind nicht allein.

Der zweite Schritt ist es, einander zuzuhören. Wir wissen nicht, wie die andere ist. Wir kennen ihr Leben nicht. Manches, was von außen absolut absurd und abwegig aussieht, ergibt Sinn, wenn man ein paar Kilometer in den Schuhen des anderen gelaufen ist.

Der dritte Schritt ist es, einander zu helfen. Es ist wichtig, dass man vorher zugehört hat. Denn manchmal ist das, was ich für gut halte und als gut für mich erlebt habe, nicht gut für den anderen. Aber wenn ich zuhöre, wenn ich die andere kennenlerne, dann höre ich auch, wie ich helfen kann. Ich werde dabei immer wieder erleben, dass auch ich hilfsbedürftig bin. Ich werde erleben, wie gut es sein kann, selbst Hilfe zu erfahren.

Der letzte Schritt ist es, einander zu ertragen. Aller guter Wille, alles Hören und Helfen wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass man mit manchen Menschen schlicht und ergreifend nicht klarkommt. Als Christin empfehle ich, für diejenigen zu beten, die man nicht mag, denn wenn man füreinander betet, ist es schwerer, einander die Menschlichkeit abzusprechen. Und darum geht es. Wir sind Menschen. Wir sind alle von Gott geschaffen und geliebt.

Egal wo wir herkommen, welches Geschlecht wir haben, welche sexuelle Orientierung wir haben, welchen Glauben, welche Ansichten. Wir sind Menschen mit all dem Guten und all dem Schlechten, was damit einhergeht.

Es wird immer gefährlich in Situationen, wo Menschen anderen Menschen die Menschlichkeit absprechen. Es ist so einfach, die eigene Würde einzufordern, aber manchmal so schwer, die Würde des anderen zu sehen. Es gibt einen Grund, dass die Menschen, die die Verfassung geschrieben haben, uns gerade die unantastbare Menschenwürde als ersten Grundsatz mitgegeben haben.

Eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Menschenwürde aberkannt wird, ist keine freie und friedliche Gesellschaft. Doch darum geht es, wenn wir in Freiheit zusammenleben wollen. Es geht darum, dass wir uns als Menschen anerkennen. Es geht um diese Geduld. Es geht um diesen Blick. Und es ist schwer. Frieden ist immer harte Arbeit. Freiheit bedeutet auch immer die Freiheit der anderen. Doch es lohnt sich.

Wir leben in einer besseren Welt, weil sich Menschen immer wieder um diese Tugenden bemüht haben. Nun ist es eben an uns, uns zu bemühen. Wer weiß, vielleicht sind gerade diese Zeiten ein Anlass, interessante Lösungen zu finden.