07/08/2024 0 Comments
Wann strahlst Du?
Wann strahlst Du?
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Wann strahlst Du?
Es war kein Wettbewerb mit Jury, eher ein „demokratisches Musikprojekt“, zu dem die drei Musiker Carsten „Erobique“ Meyer, Jacques Palminger und Chris Dietermann im Jahr 2006 über die Zeitung und das Radio aufriefen. Man sollte eine eigene „Ode an die Freude“ einreichen. Und so strömten Musiklaien und Hobbytexter in das Berliner Maxim-Gorki-Theater und feilten mit den drei Profis an ihren Liedern. Wer wollte, durfte seine Texte selbst singen, sich beim Songarrangement beteiligen oder auch mitspielen. Alle 22 Lieder haben es auf eine CD geschafft. Und eins davon lief neulich mal wieder im Radio.
„Ich liebe die Träumer, die Aufbruchsgeister / die überall Samen erkennen / die Fehlschläge nicht zu ernst nehmen / und immer das Gute benennen / Nicht die, die die Zukunft auswendig kennen /
Begeisterung als Naivität anschau'n / und dir ihre altbekannten Ängste / als Ratschläge verpackt um die Ohren hauen“. Obwohl das Lied schon aus den Nuller-Jahren stammt, klingt es doch wie ein Kommentar auf die Gegenwart. Es ist noch nicht lang her, dass Menschen als „Schlafschafe“ bezeichnet wurden, weil sie irgendeiner Internetenthüllung über angebliche Machenschaften irgendwelcher Eliten nicht Glauben schenken wollten. Und es bleibt aktuell, dass Menschen, die sich eine bessere Zukunft erträumen und daran mitbauen wollen, als naiv herabgewürdigt werden.
Ostern ist eine Erinnerung daran, wie sich manches Abwinken und Verachten als Fehleinschätzung erweisen kann. In dem Bibeltext, der am Karfreitag in den Gottesdiensten zu hören war, wird der Gekreuzigte verspottet: »Du wolltest doch den Tempel abreißen und in nur drei Tagen wieder aufbauen. Wenn du wirklich der Sohn Gottes bist, dann rette dich selbst und steig vom Kreuz herab!« Was für eine Arroganz steckt im Missverständnis derjenigen, die nur zwischen Schwarz und Weiß, Eins und Null unterscheiden können, die das Gesprochene oder Geschriebene wortwörtlich nehmen. Mit den Konfirmanden haben wir uns der Mehrdeutigkeit des Opferbegriffes immer angenähert, indem wir auf die zwei verschiedenen Begriffe im Englischen hingewiesen haben. „Opfer“ heißt hier entweder „victim“ oder „sacrifice“. Zum „victim“ wird man gemacht: durch Mobbing, durch Krieg, durch Katastrophen. „Sacrifice“ ist ein Verzicht. Der Verzicht auf Konsum. Der Verzicht, das eigene Ego durchzusetzen. Der Verzicht auf Macht.
Als im Jahr 70 nach Christus der Tempel tatsächlich zerstört wurde, und zwar durch die Kolonialmacht des römischen Reiches, hätte alles zu Ende sein können: Das Judentum, das entstehende Christentum. Beide haben es geschafft, sich von der Praxis des Tempelkults weiterzuentwickeln. Man könnte sagen, dass sich Religion in beiden Fällen vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Das Judentum hat sich weiter entwickelt zu lebendigen Synagogengemeinden. Das Christentum hat sich in Hausgemeinschaften getroffen, die die Tischgemeinschaft des Gründonnerstag wiederholt und erinnert. Es waren keine wörtlichen drei Tage, die dazu nötig waren. Das stimmt. Aber wer je in einer Osternacht erlebt hat, wie sich das Licht in der zunächst dunklen Kirche ausbreitet, kennt die Kraft des „trotz allem“. Eine stille Kraft, die einen trotzdem voller Wucht daran erinnert, dass das Leben stärker ist als der Tod.
Der Refrain des zitierten Liedes fragt: „Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen. Wann strahlst du?“ So simpel und doch so tiefgründig. Wir schulden dem Leben nicht die Rettung der Welt, wir schulden ihm nicht die Lösung aller Probleme, wir schulden ihm nicht, als Gewinner hervorzugehen. Wir schulden dem Leben unsere Begeisterung für das Schöne, unsere Dankbarkeit für alles, was wir uns nicht selbst sein und geben können. Als Karfreitagsmenschen und als Ostermenschen zugleich.
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